Prof. Dr. Herman Daly (2001)
Das Wachstum – jene „Flut, die alle Boote hebt“ – sollte auch die ungerechte Verteilung des Reichtums zwischen den Klassen auf ein vertretbares Maß bringen. In Wirklichkeit jedoch hat das Wachstum die Ungleichheit sowohl innerhalb der Staaten als auch zwischen ihnen vergrößert. Zu allem Überfluss ist sogar die Metapher falsch, da eine Flut in einem Teil der Welt eine Ebbe in einem anderen bedingt.
Wie lange können wir noch damit fortfahren, Arbeitslosigkeit durch Wachstum zu vermeiden? …
Größeres Wachstum brächte auch die automatische Lösung der Umweltprobleme. Eine sog. „ökologische Kuznetskurve“ wurde entdeckt und dazu herangezogen, eine Beziehung zwischen dem Bruttosozialprodukt und einer Reihe von Umweltschadstoffen in Form eines umgedrehten U zu enthüllen. Folglich müssen wir am Wachstum festhalten, da es der Umwelt trotz anfänglicher Schädigung später einmal nützen wird. …
Allerdings geht man in allen Fällen davon aus, dass das Wachstum wirtschaftlich ist und uns daher reicher macht, nicht ärmer. Nun wird das Wachstum aber unwirtschaftlich. Unwirtschaftliches Wachstum wird den demografischen Übergang nicht unterstützen und das Problem der Überbevölkerung nicht lösen. Es wird weder dazu beitragen, die Verteilungsungerechtigkeit zu beheben noch wird es die Arbeitslosigkeit abstellen. Und es wird uns auch keinen zusätzlichen Reichtum bescheren, der der Wiederherstellung und Sanierung der Umwelt gewidmet werden könnte. Indirekte, auf Wachstum basierende Lösungsansätze für die großen Probleme funktionieren nicht mehr.
Wir brauchen jetzt direktere und radikalere Lösungen für die Probleme von Malthus, Marx und Keynes: Bevölkerungskontrolle zur Behandlung der Überbevölkerung; Umverteilung gegen exzessive Ungleichheiten und Maßnahmen wie einen öffentlichen Arbeitgeber … als letzten Ausweg sowie eine ökologische Steuerreform, um die Preise für Ressourcen im Verhältnis zu jenen für Arbeit zu erhöhen. … Die diesbezüglichen Bemühungen der Staaten werden jedoch von der Ideologie der Globalisierung unterlaufen – einem letzten verzweifelten Versuch, die Rahmenbedingungen der Leere-Welt-Ökonomie wiederherzustellen, indem man in den ökonomischen und ökologischen Raum anderer Länder hineinwächst, ebenso wie in die noch verbliebenen globalen Gemeingüter.
aus: Unwirtschaftliches Wachstum und Globalisierung in einer vollen Welt, in: Natur und Kultur – Transdisziplinäre Zeitschrift für ökologische Nachhaltigkeit Nr. 2/2001, S. 15-16
Prof. Dr. Walden Bello (2005)
„De-Globalisierung“
Was soll De-Globalisierung bedeuten? Während nachfolgender Vorschlag in erster Linie auf den Erfahrungen in Gesellschaften des Südens basiert, ist er auch für die Wirtschaften des Nordens relevant. Wir meinen nicht den Rückzug aus der internationalen Wirtschaft. Wir sprechen über eine Umorientierung von den überwiegend auf Export ausgerichteten Volkswirtschaften zu einer Produktion vorwiegend für den Binnenmarkt; wir sprechen darüber,
- unsere Finanzmittel für Investitionen größtenteils im Inland zu beschaffen anstatt von Investitionen aus dem Ausland und ausländischen Finanzmärkten abhängig zu werden,
- die lange aufgeschobenen Maßnahmen zur Einkommensumverteilung und Landreform umzusetzen, um einen dynamischen Binnenmarkt zu schaffen, der das Fundament der Wirtschaft bilden sollte,
- die Betonung von Wachstum und Gewinnmaximierung zu verringern, um die Störung im Gleichgewicht der Umwelt zu verringern,
- strategische Wirtschaftsentscheidungen nicht dem Markt zu überlassen, sondern sie der demokratischen Willensbildung zu überantworten,
- den privaten Sektor und den Staat der dauerhaften Kontrolle durch die Zivilgesellschaft zu unterstellen,
- ein neues Produktionsgefüge und System des Austausches zu schaffen, das Gemeindekooperativen, Privatunternehmen und staatliche Unternehmen umfasst und transnationale Unternehmen ausschließt,
- das Subsidiaritätsprinzip im Wirtschaftsleben zu bewahren, indem die Produktion von Gütern – wenn es wirtschaftlich vertretbar ist – auf lokaler und nationaler Ebene gefördert wird, um das Gemeinschaftsgefüge zu erhalten.
Wir sprechen ferner über eine Strategie, die die Marktlogik und das Streben nach Kosteneffizienz bewusst den Werten von Sicherheit, Fairness und gesellschaftlicher Solidarität unterordnet. Wir sprechen – um auf die Vorstellung des großen sozialdemokratischen Gelehrten Karl Polanyi zurückzugreifen – darüber, die Wirtschaft wieder in die Gesellschaft einzubetten, anstatt in einer Gesellschaft zu leben, die durch die Wirtschaft gelenkt wird.
aus: De-Globalisierung – Widerstand gegen die neue Weltordnung (engl. 2002) Hamburg 2005, S. 65
Prof. Dr. Hans Christoph Binswanger (2006)
„Wachstumsspirale“
Die moderne Wirtschaft ist auf das Wachstum des Sozialprodukts ausgerichtet. Der Reichtum steigt. Wer noch nicht an diesem Reichtum partizipiert, kann hoffen, in Zukunft ebenfalls reich zu werden. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es so weit ist.
Mit dem Erfolg des wirtschaftlichen Wachstums nehmen aber auch die Gefährdungen des Wachstums und die Gefahren zu, die damit verbunden sind. Um diesen zu begegnen, ist es notwendig, die Logik des Wachstums zu erfassen. … Dies macht es notwendig, die Vorstellung der konventionellen ökonomischen Theorie zu überwinden, dass es in erster Linie darauf ankomme, ein statisches Gleichgewichtsmodell zu konstruieren, um die Essenz der Ökonomie zu erfassen. …
Die wichtigste Voraussetzung des wirtschaftlichen Wachstums war und ist die Einführung des Geldes und die immer weitere Ausbreitung der Geldwirtschaft. Unter der Einwirkung des Geldes weitet sich der ökonomische Kreislauf zu einer nach oben offenen Spirale aus. …
Im Zentrum der Geldwirtschaft steht das (Geld-)Kapital, das die Bildung von Unternehmungen in einer arbeitsteiligen Wirtschaft erlaubt. … Die Unternehmensbildung war ursprünglich dadurch begrenzt, dass nur wenig Geld zur Bildung von Kapital zur Verfügung stand. Dies änderte sich erst im 18. Jahrhundert durch die Schaffung des Bankensystems, das aus der Zentralbank und den Geschäftsbanken besteht und der Möglichkeit zur Geldschöpfung im Rahmen des Bankensystems. … Allerdings schränken die Banken die Kreditgewährung insofern ein, als die Banken nur bereit sind, Kredite zu gewähren und damit den Unternehmungen Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, wenn parallel dazu das Eigenkapital der Unternehmungen erhöht wird, das das Hauptrisiko trägt. … Um das durch die Schaffung des Bankensystems gegebene Potenzial der Geld- und Kreditschöpfung ausnutzen zu können, war es daher notwendig, parallel zur Einführung des Papier- und Buchgeldes die Bereitschaft der Nicht-Banken zur Verfügungstellung von Eigenkapital zu steigern. Dies wurde im 19. Jahrhundert ermöglicht durch die Schaffung der Kapitalgesellschaft und insbesondere der Aktiengesellschaft als neue Unternehmungsform. Mit ihr wird die Haftung des Aktionärs auf den Kapitalbetrag beschränkt, den er zur Verfügung stellt. … Soll sich der Kapitalbildungsprozess fortsetzen und damit die Wirtschaft wachsen, kommt daher alles darauf an, dass ständig und ununterbrochen ein Unternehmensgewinn erwartet werden darf, aus dem sowohl der Zins bezahlt werden kann als auch ein Reingewinn resultiert, der dem Aktionär als Ausgleich für das von ihm übernommene Risiko genügt. …
Wir kann aber überhaupt die Summe aller Gewinne und Verluste positiv sein? Dies ist die entscheidende Frage. Die Antwort darauf ist: durch Ausweitung des Wirtschaftskreislaufs zu einem Spirallauf. … So wird der Wachstumsprozess zu einem perpetuum mobile, der sich aus sich selbst heraus ständig weiter entwickelt. Der Zuwachs des Kapitals durch die Kreditgewährung der Banken und die Reinvestition eines Teils der Reingewinne rechtfertigt sich auf diese Weise durch sich selbst, d.h. durch die Gewinne, die in Zusammenhang mit der Kredit- und Geldschöpfung entstehen. Der Wachstumsprozess kann sich aber nicht nur fortsetzen, sondern er muss sich fortsetzen. … Das Wachstum der Wirtschaft, das aus dem Spirallauf der Wirtschaft mit Hilfe der Geldschöpfung resultiert, ist ein reales Wachstum, weil das Kapital dazu eingesetzt werden kann und eingesetzt wird, um die Ressourcen-Basis der Produktion zu erweitern, sei es durch die Maschinisierung und Chemisierung der landwirtschaftlichen Produktion, sei es durch Exploration und Exploitation von Rohstoff- und Energievorräten, sei es durch die Verwendung neuer Technologien. Gleichzeitig wird mit Hilfe der menschlichen Imagination die Produktpalette erweitert und so der Bedarfshorizont ausgeweitet. …
Aber es sind ökologische und soziale Gefahren mit dem Wachstum verbunden. … Will man der Einsicht, dass ein unendliches Wachstum der Wirtschaft in einer endlichen Welt nicht möglich ist, und der Abwehr der ökologischen und sozialen Schäden, die mit dem Wachstum verbunden sind, den Vorrang geben, muss man sukzessive die Grundlagen der modernen Wirtschaft, wie sie sich historisch entwickelt haben, so verändern, dass der Wachstumszwang abgebaut wird. … Dann könnte es sich aufdrängen, Wege zu suchen, wie in geordneter Weise, d.h. ohne Inkaufnahme von Krisen, möglichst unter Aufrechterhaltung der Arbeitsteilung und der Effizienz des Marktes, der Spirallauf der Wirtschaft wieder allmählich in einen Kreislauf zurückgeführt werden kann.
aus: Die Wachstumsspirale – Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses, Marburg 2006, S. 363 -375;
vgl. auch Ringvorlesung vom 12. November 2008
Dr. Reinhard Loske (2007)
An der Wiege der modernen Ökologiebewegung stand in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine radikale Wachstums-, Industrie- und Konsumkritik. Als Gründungsdokumente der Ökologiebewegung können Werke wie „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson (1962), „Die Grenzen des Wachstums“ vom Ehepaar Meadows (1972), „Das Ende der Vorsehung“ von Carl Amery (1972), „Ein Planet wird geplündert“ von Herbert Gruhl (1974), „Haben oder Sein“ von Erich Fromm (1976) und „Die Alternative“ von Rudolf Bahro (1977) gelesen werden. …
Seit den achtziger Jahren sank die Höhe der Tonlage deutlich und wich einem technisch-ökonomischen Gestaltungsanspruch in „grün“. Katastrophenszenarien, Wachstums- und Konsumkritik gerieten aus der Mode. … Vorherrschend war ein eher anpackender Grundton, der den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft in hellen Farben als große Modernisierungschance pries. … Den ideologischen Überbau für solche technikoptimistischen Szenarien lieferten Bücher wie „Faktor Vier: Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch“ von Ernst U. von Weizsäcker, Amory und Hunter Lovins (1996), „Solare Weltwirtschaft“ von Hermann Scheer (1999) oder „Green Capitalism“ von Paul Hawken (2003). … Aus Wachstumskritik war, wenn auch von den meisten Autoren gar nicht explizit formuliert, unter der Hand der Anspruch geworden, Umweltschutz sei der beste aller Wachstumsmotoren. Im politischen Raum war man mit dieser Theorie natürlich wesentlich anschlussfähiger als mit Zweifeln am Sinn immerwährender Expansion oder der Betonung von Grenzen. …
Ist es richtig, die Wachstumsfrage einstweilen zurückzustellen und stattdessen für die Effizienzrevolution und die Solarzivilisation zu kämpfen? Oder ist es für die Ökologiedebatte nicht nachgerade konstitutiv, die Frage nach dem rechten Maß zu stellen, Überkonsum und Verschwendung zu thematisieren, Effizienz und Suffizienz, technisch-ökonomischen und sozial-kulturellen Wandel gleichermaßen in den Blick zu nehmen, politische Rahmenbedingungen so zu setzen, dass wachstumsneutrale Lebens- und Wirtschaftsstile begünstigt werden? …
Was die Wachstumskritiker in den siebziger Jahren nicht in der notwendigen Klarheit gesehen haben, ist die soziale Frage. … Innergesellschaftliche und zwischengesellschaftliche Gerechtigkeit müssen integral in umweltpolitische Konzepte aufgenommen werden. …
Wenn man sich diese Zusammenhänge vor Augen führt, erscheint die Notwendigkeit von umweltverträglicheren Lebensstilen inklusive eines deutlich reduzierten Niveaus an materiellem Konsum durchaus gegeben. … Wachstumsdruck von Gesellschaft und Wirtschaft zu nehmen, wird in Zukunft eine politische Herausforderung erster Ordnung.
aus: Die Wachstumsfrage – endgültig out oder wieder in?, in: Jahrbuch Ökologie 2008, München 2007, S. 16-23
Wuppertal-Institut (2008)
Eine Gesellschaft, die zukunftsfähig werden will, muss sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass schon sie selbst und ebenso die kommenden Generationen mit weniger und schließlich ohne Wirtschaftswachstum auskommen müssen. Das wird durch die Einsicht erleichtert, dass Wachstum bei genauer Betrachtung ohnehin nicht die Erwartungen erfüllt, die so viele mit ihm verbinden. Die Hoffnung, dass es zur allgemeinen Wohlfahrt beiträgt, ist jedenfalls trügerisch.
Wenn Kapitalismus – unabhängig davon, ob private, genossenschaftliche oder öffentliche Eigner dominieren – als die Vorherrschaft des Renditekalküls über Gemeinwohlbelange verstanden wird, dann ist er in seiner gegenwärtigen Ausprägung schwerlich zukunftsfähig. Überlebensfähig ist nur eine Wirtschaftsform, die den Gemeingütern Umwelt und Lebensqualität Sitz und Stimme im Wirtschaftsgeschehen gibt. … Weil der herrschende Wachstumsimperativ von seinem Wesen her unterschiedslos nur Geldgrößen aggregiert und insofern qualitätslos ist, muss er auch zur Disposition gestellt werden. …
Wo Wachstum einer nachhaltigen Entwicklung widerspricht, ist dagegen Neuorientierung, Schrumpfung oder Ausstieg angesagt, wie bei nuklear-fossilen Energien, beim auto- und flugintensiven Verkehr, bei spekulativen Finanzprodukten oder bei der Verschuldung armer Länder. …
Räumliche Nähe macht Kooperation auf der Seite der Anbieter von Erzeugnissen und Diensten sowie zwischen Kunden und Anbietern möglich. Dieser Vorteil der Nähe lässt sich durch die Einführung eines Regionalgeldes erheblich steigern. Regionalgeld ist ein Tauschmittel, das die regionale Vernetzung fördert.
aus: Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt – Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Frankfurt/M. 2008, S. 112-114 und 424
Prof. Dr. Marianne Gronemeyer (2008)
Die Kunst des Aufhörens ist eine Hommage an die Freundschaft, ein Plädoyer für Befreundung statt Bezwingung. … Aufhören ist ein empathischer Akt. … In den Sachzwängen sind die Erinnerungsspuren vernichteter Vielfalt aufbewahrt. Jede Vereinheitlichung, jede Zurichtung auf Wiederholbarkeit, jede Anpassung ans Maschinelle führt Sachzwänge im Schlepptau. Je mehr Vielfalt, desto weniger Sachzwang und umgekehrt: Je mehr Einheitlichkeit, desto mehr Ausweglosigkeit. Die „Globalisierung“, die Weltvereinheitlichungsmaschine, führt geradewegs in den Sachzwangknast, der es uns unmöglich macht, den Niedergang zu stoppen. Umgekehrt aber auch hier: jede Wiederbelebung der Vielfalt, jede Kultivierung von Eigenart hat etwas Rettendes an sich und richtet ein Stoppzeichen auf.
aus: Genug ist genug – Über die Kunst des Aufhörens, Darmstadt 2008, S. 161-162
Dr. Fred Luks (2009)
Die tiefe weltweite Krise bringt etwas, was viele Wachstumskritiker gefordert haben: weniger Wachstum, gar Schrumpfung. … Anfang 2009 kann man ganz anders über Wirtschaft und Wachstum reden als Mitte 2008. In der aktuellen Krise können offensichtlich bestimmte Dogmen leichter in Frage gestellt werden als in der Vergangenheit. …
Der Glaube an immer währendes Wachstum erweist sich als Irrglaube. Nein, in einer endlichen Welt kann es kein unendliches Wachstum geben. Zumindest kein physisches. Was schon logisch dazu führt, dass man über die Entkopplung von Umweltverbrauch und Wirtschaftsleistung nachdenken muss. … Entkopplung ist aber sehr wahrscheinlich nicht grenzenlos möglich. Wachstumsprozesse können Effizienzgewinne überkompensieren, technische Effizienzsteigerungen sind vermutlich irgendwann ausgeschöpft. Das heißt natürlich nicht, dass man sie nicht nutzen sollte. Das heißt aber, dass man gesunde Skepsis walten lassen sollte, wenn es um die Bewertung der Möglichkeiten und Grenzen von Effizienz, Entkopplung und Wachstum geht. …
Die allermeisten Industriestaaten wachsen gar nicht exponentiell, sondern linear. Das heißt: die Wachstumsraten sinken. … Dauerhaftes Wachstum ist langfristig ein überaus unwahrscheinliches Szenario. …
Wachstum verfehlt nicht nur häufig die erwünschten Beschäftigungseffekte – es trägt offenbar auch in immer geringerem Maße zur Lebensqualität bei. … Das verweist auch auf ein Thema, das im politischen Diskurs gerne verdrängt wird: Verteilung. … Wenn Wachstum sich dauerhaft verringert, kommt man an der Frage nach der Verteilung von Einkommen, Vermögen und Arbeitszeit nicht vorbei. …
Strategien der Effizienz und der Konsistenz sind unerlässlich, wenn eine nachhaltige Entwicklung angestrebt wird. … Neben Effizienz und Konsistenz braucht es auch ein Nachdenken über Suffizienz. … Das Wirtschafts-, Wohlstands- und Lebensmodell der reichen Länder steht heute auf dem Prüfstand, aus ökonomischen Gründen ebenso wie aus sozial-ökologischen.
aus: Wachstum hinterfragen? Yes we can!, in: Friedrich Hinterberger, Harald Hutterer, Ines Omann und Elisabeth Freytag (Hg.), Welches Wachstum ist nachhaltig? – Ein Argumentarium. Wien 2009, S. 169-175
Prof. Dr. Gerhard Scherhorn (2009)
Bei allem guten Willen zur Natur- und Sozialverträglichkeit lassen sich Politik und Wirtschaft bisher auf Strategien nachhaltiger Entwicklung nur ein, soweit sie mit Wirtschaftswachstum vereinbar sind. Das exponentielle Wachstum selbst steht nicht in Frage. Denn das kapitalistische Weltsystem ist auf dem Primat der Kapitalexpansion aufgebaut und treibt deshalb den Prozess der Kommodifikation, der für das Wachstum der Produktion nötigen Verwandlung von Bedürfnissen in Waren, blindlings weiter voran, ohne ihn auf Nachhaltigkeit zu überprüfen. Aber das System stößt heute an seine Grenzen. Es wird immer unabweisbarer mit seinen inneren Widersprüchen konfrontiert:
- Es ist auf permanente Kapitalexpansion, also exponentielles Wachstum angelegt, operiert aber in einer endlichen Welt. Die bewohnbaren Räume hat es besetzt. Und das Vorantreiben der Kapitalexpansion durch Externalisierung von Kosten auf Umwelt und Gesellschaft, Marginalisierung der Arbeit und Monopolisierung von Gemeinguterträgen lässt sich nicht mehr lange fortsetzen. Denn inzwischen gefährden diese Strategien den Wohlstand der entwickelten und das Nachholen der sich entwickelnden Länder.
- Tatsächlich ist das Wachstum der reifen Industrieländer längst linear und das der Entwicklungsländer wird sich abflachen. Deshalb hat sich die Kapitalexpansion mehr und mehr auf das Finanzkapital verlagert. Das aber hat zu einer Polarisierung zwischen Reichen und Armen geführt, die sich in einer Vermögensinflation und einem Schwinden der Einkommen in den mittleren und unteren Schichten auswirkt, das deren Versorgung mit Konsumgütern – und ihre Zustimmung zum politischen System – infrage stellt.
- Die Kapitalexpansion steht und fällt mit der Fähigkeit der Regierungen, auf Kapitalbesteuerung weitgehend zu verzichten, dem Kapital Monopolsituationen einzuräumen, ihm eine der Kommodifizierung günstige Infrastruktur zu bieten, die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer zu schwächen; für all das haben die Regierungen aber nur begrenzten Spielraum, weil diese Strategien ihre Finanzkraft verringern und sie zu steigender Verschuldung zwingen, die schließlich in die Inflation der Konsumgüterpreise führen wird. …
Das derzeit nahezu grenzenlose Geldschöpfungspotenzial der Finanzmärkte muss wirksam eingegrenzt werden. …
Unter dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung kann man die … Verlangsamung des Wachstums nur bejahen. Einkommen und Konsum müssen sich in den Entwicklungsländern nach oben, in den Industrieländern nach unten anpassen, um sich weltweit auf einem mittleren Niveau der Ansprüche zu treffen, bei dem die Tragfähigkeit des Planeten Erde nicht überfordert wird. Die Pro-Kopf-Emission an CO2-Äquivalenten zum Beispiel muss auf weniger als zwei Jahrestonnen verringert werden, um halbwegs klimaneutral zu sein. In Deutschland liegt sie bisher bei 10 Tonnen pro Person und Jahr. Ein Teil des klimaschädlichen Energieverbrauchs kann durch erneuerbare Energien ersetzt werden, ein anderer muss durch Übergang zu einem maßvolleren Lebensstil kompensiert werden, der unverzichtbar ist, zumal auch Ausgleichszahlungen an die Länder mit intakten Regenwäldern finanziert werden müssen.
aus: Geld soll dienen, nicht herrschen – Die aufhaltsame Expansion des Finanzkapitals, Wien: Picus Verlag, 2009, S. 63-64, 71 und 77
Prof. Dr. Ingrid Kurz-Scherf (2009)
Die politische Ökonomie des Kapitalismus basiert bekanntlich auf der Abspaltung des größten Teils der zur Reproduktion moderner Gesellschaften notwendigen Arbeit und deren Verlagerung in die Privathaushalte, wo sie traditionell vorrangig von Frauen verrichtet wird. Die „Restökonomie“ folgt dagegen nicht in erster Linie dem Prinzip der Versorgung, sondern dem der Verwertung. …
Voraussetzung der geplatzten Finanzblase war ganz offenkundig ein gigantischer Überschuss an Rendite suchendem Kapital, der in der sogenannten Realwirtschaft erwirtschaftet wurde, dort aber keine hinlänglich renditefähigen Anlagen mehr fand und sich deshalb selbst neue, virtuelle Anlage- und Renditemöglichkeiten erst erschuf. …
Die Tatsache, dass die kapitalistische Bedürfnisinterpretation und das ihr entsprechende Arbeitsverständnis längst an die „Grenzen des Wachstums“ gestoßen sind, spielt in den aktuellen Krisendebatten allenfalls unter ökologischen Gesichtspunkten eine Rolle. Ökonomische Grenzen des Wachstums werden dagegen ignoriert und tabuisiert. Tatsächlich treffen aber auch prinzipiell steigerungsfähige Bedürfnisse irgendwann an Sättigungsgrenzen. …
Die absurde Vorstellung unendlichen Wachstums scheint tatsächlich in einer Männlichkeitskonstruktion verwurzelt, die in prometheischer Selbstüberhöhung sogar die Grundbedingung allen Lebens – Natalität und Mortalität – meint außer Kraft setzen zu können. …
Die Finanzblase war ein Symptom einer geradezu pathologischen Verdrängung der Grenzen des Wachstums. Und sie war das Ergebnis eines ebenso pathologischen Versuchs, diese Grenzen in die Unendlichkeit der Virtualität zu verschieben. Sie war darüber hinaus ein Symptom des Technikwahns, der sich längst gegen alle Erwägungen von Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit verselbstständigt hat.
aus: Monopoly-Kapitalismus – Reservat der Männlichkeit, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 5/2009, S. 36-40
Prof. Dr. Richard Wilkinson & Prof. Dr. Kate Pickett (2009)
Der methodische Ansatz, das Risiko einer Krankheit nicht in erster Linie als ein individuelles Gesundheitsproblem zu betrachten, sondern die hauptsächlichen Ursachen ihrer Häufigkeit in den sozioökonomischen Strukturen der jeweiligen Gesellschaft zu erkennen, bietet ein ganz neues Instrument der Betrachtung. Wie mit einer Wasserwaage lässt sich die soziale Schieflage einer Gesellschaft analysieren. … Unsere These ist, dass die Ungleichheit die Ursache vieler sozialer und gesundheitlicher Probleme ist. …
Wir müssen uns in Richtung einer „Wirtschaft jenseits von Wachstum“ bewegen. … Die Vorstellung, eine Wirtschaft ohne Wachstum bedeute Stagnation und biete keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr, ist falsch. …
Das zwanghafte Konsumverhalten führt die Konsumenten zu einer Vogel-Strauß-Politik: Wir leugnen die Folgen des Konsums für unser eigenes Leben. … Mehr Gleichheit ist der Schlüssel, denn dieses Mehr würde den Konsumdruck verringern, der unser soziales Zusammenleben prägt. Wachstum ist eine Ersatzdroge für Einkommensgleichheit. … Je mehr Einkommensgleichheit, umso weniger brauchen wir die Ersatzdroge. Mehr Gleichheit ist Voraussetzung für eine Wirtschaft ohne Wachstum. …
In Gesellschaften mit mehr materieller Gleichheit sind der soziale Zusammenhalt und auch das gegenseitige Vertrauen der Menschen stärker; beides fördert das Gemeinschaftsgefühl. … Ein Mehr an Gleichheit kann uns helfen, eine öffentliche Moral zu entwickeln, die auf wechselseitige Verpflichtung und Zusammenarbeit gerichtet ist.
aus: Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin 2009, S. 11-12, 251-253 und 260-261
Prof. Dr. Wolfgang Sachs (2010)
Wir verbrauchen in einem Jahr Schätze aus der Erdkruste, die geologisch gesehen eine Million Jahre gebraucht hat, um aufgebaut zu werden. Jetzt, nach 200 Jahren der Ausbeutung, ist deutlich, dass diese Phase der Weltgeschichte vorüber ist. Die Ressourcen werden knapper, sie werden teurer, viele wichtige Ressourcen werden im Laufe der nächsten 50 Jahre zu Ende gehen. Diese 200 Jahre waren ein Feuerwerk. Wenn man das im Rückblick von einem weltgeschichtlichen Standpunkt aus betrachtet, muss man sich heute eingestehen, dass diese 200 Jahre als eine Parenthese in der Weltgeschichte betrachtet werden müssen. …
Wir wissen noch nicht, wie man eine Wirtschaft bauen kann, die allen ein Auskommen, ein gedeihliches Leben sichert, aber gleichzeitig nicht unbedingt wachsen muss. Wir haben in den letzten 200 Jahren auf jeden Fall, jetzt zunehmend progressiv, eine Wachstumswirtschaft. Sie ist zur Wachstumsgesellschaft geworden, weil viele unserer gesellschaftlichen Notwendigkeiten nicht mehr funktionieren ohne Wachstum. Und wir wissen nicht, wie wir aus dieser Sackgasse letztendlich heraus kommen. Es gibt dazu Ansätze und Experimente. Aber wenn man in die Disziplin guckt, die das Wissen darüber verwaltet, nämlich die Wirtschaftswissenschaften, dann gucken Sie in eine Wüste. Die Wirtschaftswissenschaften heute sind eine kognitive Wüste, wenn es darum geht, sich zu fragen: Was könnte eigentlich Wirtschaften jenseits des Wachstumszwangs bedeuten?
aus: Den fossilen Öltanker durch viele Segelboote ablösen, in: Geseko von Lüpke (Hrsg.), Zukunft entsteht aus Krise, München 2010, S. 246 und 262
Prof. Dr. Helge Peukert (2010)
Die ungeklärte Zukunftsfrage lautet: Wäre eine ökologisch tragfähige Gesellschaft, die nicht auf dem Wachstumsimperativ angewiesen ist, mit einer Geldordnung vereinbar, in der es positive Zinssätze gibt? Falls die Frage zu verneinen ist: Ist eine Geldordnung in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ohne positive Zinssätze möglich? …
Die Finanzmarktkrise hat elementare Basissätze unseres Alltagsverstandes in Frage gestellt: Kompetente Bankdirektoren, Weltklassemanager, verantwortungsvolle Regulatoren und nicht korrumpierbare Rating-Agenturen erwiesen sich als entzauberte Köche toxischer Suppen. Die Frage ist, ob das Bedürfnis nach schneller Wiederherstellung des Urvertrauens und Angstvermeidung größer ist als eine konsequente Aufarbeitung. …
Die Strategie, über exorbitante Verschuldung die verteilungspolitische Schieflage zu verdecken und den transatlantischen Traum des Wohlstands für alle weiter zu träumen, hat sich mit der Finanzmarktkrise erledigt. Grundlegende gesellschaftspolitische Weichenstellungen stehen nicht nur in der westlichen Hemisphäre an. …
Wie kann ein Wirtschaftssystem überleben, das angesichts positiver Zinssätze und mit Vermögenswerten, die Rendite abwerfen sollen, was letztlich nur durch Erlöse aus der Realsphäre geleistet werden kann, ein System also, das auf Wachstum angelegt ist, mit den Erfordernissen der Ökosphäre harmonieren, die stetiges Wachstum nicht mehr verträgt? … Wachstum ist das magische Konzept, das Finanz- und Umweltkrisen nach dem Prinzip „Weiter wie bisher ohne Rücksicht auf Verluste“ verbindet. Der Tanz muss weitergehen, solange die Musik spielt. Nach uns die Sintflut. … Die Anerkennung natürlicher Grenzen, nötige Redundanzen (etwa niedriges Leverage) und Entschleunigung stehen nicht hoch im Kurs. Die gleichen Mechanismen (kurzfristiges Gewinndenken, kollektives Ignorieren der Gefahren) führten zur Finanzmarktkrise und der Katastrophe im Golf von Mexiko, wo es, wie man nebenbei erfährt, aus 26.000 weiteren ehemaligen Bohrlöchern vor sich hintropft. …
Die entscheidende Zukunftsfrage der Finanzmärkte lautet: Wie kann man auf Dauer ein solides Finanzsystem konstruieren, das nicht eigendynamisch durch den (Zinses)Zins auf ständige Expansion angelegt ist? … Mit Binswanger kann man im 100%-Plan einen ersten Ansatz (Nullzins auf Girokonten) in die richtige Richtung sehen. Auch ließe sich über seinen Vorschlag neuer nachhaltigkeitsorientierter Unternehmensverfassungen in Form von Stiftungen und Genossenschaften nachdenken. …
Im heutigen Wirtschaftssystem ist somit zusammenfassend eine dreifache Ponziverschuldung festzustellen: Die meisten Staaten häufen Schulden an, von denen sie bestenfalls die Zinsen bedienen können. Im Finanzsektor bauen sich sachlogische Verschuldungskaskaden auf und im Realsektor lebt die Menschheit seit langem von der Substanz des „Naturkapitals“. Das an dieser Stelle nicht zu lösende Kunststück der Wirtschaftspolitik wird darin bestehen, eine Vollbeschäftigung neuen Typs (bei Null- oder sogar Negativwachstum) realisieren zu müssen. Hier zeigt sich die enge Wahlverwandtschaft der Probleme des Realsektors und der Geld- und Finanzsphäre: Über den Zins ist die Geldsphäre genauso wie die Realsphäre auf exponentielles Wachstum angelegt und in beiden Sektoren treten wachstumsbedingte Strukturprobleme auf. … Die Gretchenfragen lauten: Wie hätte ein zu einer nicht mehr unter Wachstumszwang stehenden Wirtschaft und Gesellschaft korrespondierendes Geldsystem auszusehen? Langen hierbei von der Geldseite her der 100%-Plan und die anderen Reformvorschläge? Was müsste hinzukommen? Kann ein modernes Geldsystem ohne exponentielle Verschuldung (als Kehrwert eines positiven Zinssatzes) und kann eine privatwirtschaftliche, auf Gewinn ausgerichtete Marktwirtschaft in einer stationären oder – wenn man den Schwellenländern etwas mehr als bisher gönnen will – schrumpfenden Wirtschaft überleben? … Schrumpfung bedeutet kurzfristig Rezession, Arbeitslosigkeit und Verteilungskämpfe. Die harten physikalischen treffen hier auf die sozialen und ökonomischen Grenzen. Bloße Appelle an die Einschränkung von Gier, an moralisches Wachstum und mehr Kooperation helfen hier wenig und die Planwirtschaften … sind auch kläglich gescheitert. Was tun? …
Sollten die hier auf die Finanzmärkte bezogenen Interpretationen und zu ihrer Stabilisierung vorgeschlagenen Reformen auch einen gewissen Überschuss auf dem Weg zur Suffizienzrevolution beinhalten und zu ihrer Verwirklichung anregen, dann würde den Verfasser dies sehr freuen.
aus: Die große Finanzmarktkrise – Eine staatswissenschaftlich-soziologische Untersuchung, Marburg 2010, S. 24, 32, 42-43 und 500-510