Dr. Marc Hieronimus, Historiker und Philosoph, Köln
© 2014, Gébé & L’Association
„Alles anhalten. Nachdenken. Und das ist nicht trist.“ So lautete Anfang der 1970er das Motto der französischen Comic-Kolumne „L’An 01“ (Das Jahr 01) des genialen Charlie-Hebdo-Zeichners Gébé, als weltweit die letzten positiven Utopien geschrieben wurden. Längst vergessene Wachstumskritiker prangerten damals schon die Folgen des sogenannten „Fortschritts“ an und mahnten zur sofortigen Wende.
Das Buch „Der Schritt zur Seite“ ist als eine Art Einführung in das Denken der Décroissance-Bewegung gedacht, also den französischsprachigen Zweig dessen, was hierzulande als Degrowth oder Postwachstum bekannt ist. Viele große Autor/innen des Rückgangs stammen aus Frankreich. Leider sind weder die Vordenker wie Jacques Ellul, Bernard Charbonneau oder Pierre Fournier, noch die weiterführenden zeitgenössischen Autoren wie Paul Ariès, Dany Robert-Dufour oder Bertrand Méheust in Deutschland bekannt – die meisten sind mangels Übersetzung überhaupt nur einem französischsprachigen Publikum zugänglich.
Was also denken und wollen die Anhänger der Décroissance? Im Vergleich zur deutschen Bewegung scheinen sie besonders lebensfroh, aktiv, theoretisch fundiert, aber durchaus auch radikal, das heißt, ihr Denken und Wirken geht an die Wurzeln unseres ökologischen, sozialen und individuellen Elends und richtet sich gegen den Konsens buchstäblich aller etablierten Medien und Parteien.
In Frankreich gibt es z.B. die von einem Kollektiv von Werbegegner/innen gegründete Zeitschrift La Décroissance, die mittlerweile zu groß geworden ist, als dass Politiker/innen und Leitartikler/innen sie noch ignorieren könnten. Werbung ist ihnen die Propaganda der bestehenden Verhältnisse, formt das Welt-, Gesellschafts- und Menschenbild ihrer unfreiwilligen Konsument/innen, und doch geht hierzulande kaum jemand gegen sie vor.
Ähnlich unversöhnlich stehen sie Großbauprojekten, der Autoindustrie, „Öko-Heuchlern“ in Politik und Medien und den verbrecherischen Aktivitäten der internationalen Wirtschaft gegenüber. Ihr besonderes Augenmerk gilt dem vermeintlich unaufhaltsamen „Fortschritt“, besonders wenn es um Geo-Engineering, Gentechnik und den Transhumanismus geht.
Dr. Marc Hieronimus ist Historiker, Philosoph, Comicforscher und Dozent für Deutsch als Fremdsprache. Zu seinen Interessen und Forschungsgebieten gehören der Nationalsozialismus im Comic, die Wirkung visueller Medien, Gesellschafts- und Technologiekritik, Karikatur, die Magie in Mittelalter und Moderne, Tiefenpsychologie, „wilde“ Lebensformen u.v.m. Der Großteil seiner Essays ist in der Zeitschrift Lichtwolf erschienen. Nach einigen Jahren in Frankreich lebt er heute mit seiner Familie am Waldrand von Köln.
Literatur
Der Schritt zur Seite, catware.net Verlag, 2017.